Was, wenn ich gar nicht so wichtig bin, wie ich immer denke?

Berge zeigen mir meine wahre Größe. Wenn ich vor ihnen stehe, fühle ich mich auf einmal klein. Ich werde demütig – und nehme gleichzeitig ein befreiendes Gefühl in mir wahr.

Wer mich kennt (oder Über mich gelesen hat) weiß, dass ich ein Küstenmensch und –liebhaber bin. Aber ich mag auch die Berge. Sehr sogar! Denn sie erinnern mich an meine wahre Größe. Ich weiß nicht, ob ich in den Bergen leben wollen würde. In meinen Gedanken vorstellen kann ich es mir schon, aber ob das in der Realität ebenso gut wie an der Küste wäre? Keine Ahnung. Bisher hat es sich nicht ergeben, dass ich das ernsthaft in Erwägung ziehen musste.

Den für mich optimalen landschaftlichen Lebensraum gibt es in Deutschland wohl nicht: Küste und Berge gleichzeitig. So wie in Norwegen die Fjordlandschaft zum Beispiel. Das wäre mir vermutlich aber zu kalt. Und mindestens im Winter zu dunkel. Egal, Luxusprobleme. Als Norddeutscher, den 800km von den Alpen trennen, freue ich mich dafür jedes Mal umso mehr, wenn ich mal wieder in die Bergwelt eintauchen kann. Das ist dann immer auch etwas Besonderes!

Was passiert, wenn ich als Küstenflachländer auf die Bergwelt treffe

Kennst du den flachen Norden, die Landschaft, wo die höchste Erhebung vermutlich die Deiche sind? Eine alte Redensart besagt, dass man hier schon am Freitag sehen kann, wer einen am Sonntag besuchen kommt. Ja, ein bisschen ist es so. Kurz: hier ist es echt flach. So flach, wie eine Briefmarke auf einem Umschlag klebt.

Foto Küste Abendsonne am Horizont

Das hat auch etwas Schönes: das Gefühl von Weite. Hier im Norden können wir wenigstens bis zum Ende gucken. Unsere Sicht hört da auf, wo sich Erde und Himmel treffen. Je nach Wetter sehen wir hier tatsächlich den Horizont. Das hat man in den Bergen eher nicht…

Die Bergwelt bietet dafür eine Wahrnehmung von etwas, dass es im Norden so deutlich nicht gibt: die räumliche Tiefe. In den Bergen wirkt die Landschaft auf mich dreidimensionaler – hinter der vorderen Bergkette kommt eine weitere, dann noch eine…

Foto Bergpanorama, angesichts dessen ich meine wahre Größe hinterfrage.

Neben der Höhe der Berge gibt es also auch eine andere Tiefendimension, die ich in meinem Alltag in meiner Heimatlandschaft in der Form nicht erlebe.

Ich weiß ja nicht, wie es ist, wenn man in den Bergen wohnt. Wenn ich als Norddeutscher in den Süden fahre und nach vielen Stunden dann auf die Alpen stoße, ist es um mich geschehen. Schon von weitem die Silhouette zu sehen und noch zu rätseln, ob es die Berge oder Wolken sind lässt mein Herz höherschlagen. Und dann direkt dort anzukommen, mit dem Auto zwischen den massiven Bergen hindurchzufahren, links und rechts umgeben von baumbewachsenen Felsen, hier und dort saftig grüne Wiesen mit braunen Kühen… WOW!!! Das ist atemberaubend und ich möchte am liebsten sofort aussteigen, meine Wanderschuhe anziehen und loslaufen.

Berge – Ausdruck einer einzigartigen kunstvollen Schönheit

Ich finde die Bergwelt schön!

Foto einer Berglandschaft mit sanften, runden Bergen, einem Bergsee, Wäldern und grauen, kahlen spitzen Gipfeln.

Die verschiedenen Formen beispielsweise. Da gibt es steile Berghänge, sanft geschwungene Ebenen, rundliche Gipfelplateaus, spitze Gipfel und kantige Bergkämme.

Foto Bergwiese im Vordergund, im Hintergrund Bergmassiv.

Dann die unterschiedlichen Farben: grüne Wiesen mit bunten Blüten von Blumen und Kräutern, karg aussehende Grünflächen mit einigen Büschen und schließlich die grauen nackten Felsen.

Foto Bergwiese mit Kühen.

Die Geräusche, die durch die Luft klingen – hier ein kleiner Bergbach, dort ein rauschender Wasserfall, der Wind in den Bäumen, pfeifende Murmeltiere oder die läutenden Glocken der Kuhherden auf den Hängen.

Foto Berge im Sonnenaufgang im Hintergrund.

Und atemberaubend: ein Sonnenaufgang – geniales Spiel von Licht und Schatten. Fast goldfarben erstrahlt die eine Bergflanke, während die andere dunkel im Schatten liegt.

Foto Volker Schwolow Bergwanderung bei Regenwetter.

Oder die Wanderung bei leichtem Regen. Eintauchen in die fast mystische Szenerie aus Wiesen, Bäumen und Wolken. Die Sicht beschränkt auf wenige Meter. Um einen herum scheinen jegliche Farben verschwunden, alles ist zu einem Wechselspiel aus grauen, braunen und blauen Farbtönen geworden.

Nochmal ganz anders ein Sommergewitter. Da gibt es ein erstaunlich schnelle Wechselformationen höchster Kumulonimbus-Wolken. Während der eine Hang im Starkregen und Hagel verschwindet, ist es nur wenige Meter weiter noch trocken und der Blick auf den Felsen klar. Dazu die zuckenden Blitze, die die Wolken in bläulich-violettem Licht erleuchten und der schwer klingende Donner, dessen Grollen sich in den Bergen lange hält und von den Felswänden wiederhallt.

Digitale eins-null-Welt + Männer = digitale Männer?

Unsere Welt ist digital geworden: Sozialkontakte pflegen wir zu großen Teilen digital. Absprachen werden in Kurzsätzen über Messenger gemacht. Dokumente und Informationen tauschen wir über E-Mails und Serverplattformen aus. Fast unbemerkt werden wir selbst aber dadurch auch irgendwie digital. Was ich damit meine? Wir werden unsensibel, nehmen Gefühle weniger wahr (was wir Männer ja, verglichen mit Frauen, bekanntlich ohnehin schon tun) und (re-)agieren I-0-mäßig. Stumpfen quasi ab – anderen und auch uns selbst gegenüber.

Sinnliches Empfinden findet auf der analogen Ebene statt. Dort, wo es Farben, Formen, Gerüche und Geschmäcker gibt. Allzu oft sehen wir unsere Welt als schwarz-weiß, ja-nein, an-aus. Wir bilden einfachste Kategorien, in die wir alles einteilen – digitalgeprägte Schubladen halt. Damit leben und agieren wir in einer Welt, die so aber nicht ist: in meiner Ehe und Familie, im Freundeskreis, im Verein. Kurz: Überall dort, wo wir mit Menschen zusammenleben. Menschen sind nämlich analog.

Wo entstehen deine meisten Krisen, Probleme und Konflikte? Richtig – in der analogen Welt. Deine Gesundheit ist analog. Deine Ehefrau ist analog. Und deine Kinder. Und die Menschen in deinem Verein. Sogar die Menschen an deinem (digitalen?) Arbeitsplatz. Und das wichtigste: DU bist analog! Damit du deinen Herausforderungen auch sinnvoll begegnen kannst, brauchst du also auch analoge Herangehensweisen – allem voran die Basis: den Zugang zu deinen Gefühlen und Empfindungen. Und den musst du trainieren und gegen die digitale Welt verteidigen!

Berge zu Sinntrainern und Lehrmeistern machen

Tauche ich – gedanklich oder physisch – in die Bergwelt ein, kann ich darin meine Sinne für natürliche Schönheit schärfen und Alltagslektionen lernen. Bewusst sage ich ‚kann‘ – weil es erfordert, dass ich mich mit wachen Sinnen und einer gehörigen Portion Selbstreflexion aufmache.

Was ich im Anblick einer Bergwelt empfinde, habe ich weiter oben ja schon ausführlich erzählt. Der Schlüssel ist, dass du selber lernst, natürliche Dinge für dich zu beschreiben. Dass du deinen eigenen Wortschatz entwickelst, deinen eigenen Weg findest, Natur mit allen Sinnen wahrzunehmen und für dich zu formulieren. Du brauchst ja kein Buch darüber zu schreiben, auch keinen Blog oder sonst irgendetwas. Ein eigene-Gedanken-Buch kann allerdings sehr helfen. Es geht aber darum, dass du die natürliche Welt um dich herum mit vielen Sinnen wahrnimmst und deinem Denken ausführlich Zeit einräumst, diese Wahrnehmungen aufzunehmen und zu verarbeiten.

Was dann passiert? Du entschleunigst dein Leben und wirst ruhiger. Steigst mal aus dem Hamsterrad der digitalen Welt aus. Ist sehr gesund für dich. Und glaub mir: deine Mitmenschen werden es merken und dir danken, weil sie dich entspannter erleben. Du erlaubst auch deinen Gedanken, wieder in ihrem natürlichen Tempo und auf ihre natürliche Art Dinge zu verarbeiten. Denn auch unser Gehirn kann und möchte mehr als nur in I-0-Strukturen zu arbeiten.

Wer in den Bergen unterwegs ist, weiß, dass es viele weitere Lektionen zu lernen gibt. Zum Beispiel diese: Ohne Training geht es nicht. Oder diese hier: Lieber langsam und kontinuierlich dem Gipfel entgegen als schnell loslaufen und in der Hälfte aufgeben müssen. Als besonders lehrreich habe ich in den letzten Jahren die Lektion von der richtigen Planung und Ausstattung empfunden: Um ein Ziel sicher zu erreichen, muss ich mich gut vorbereiten und auch Unvorhersehbares einplanen.

Die befreiende Premium-Lektion: So groß(artig) bin ich gar nicht!

Foto Volker Schwolow vor einem Bergmassiv. Was ist meine wahre Größe?

Hast du schon einmal am Fuße nur eines Zweitausenders gestanden? Die Mächtigkeit, mit der so ein Berg oder gar eine ganze Kette von Bergen dort stehen, auf dich wirken lassen?

Unverrückbar, hoch, schwer – alles drückt aus: gegen den habe ich keine Chance! Da fühlt man(n) sich eher klein, fast unscheinbar, machtlos und unterlegen. So gar nicht männlich – folgt man dem allgemeinen Männerbild.

Das steht oft ganz im Gegenteil zu der Welt, in der wir uns als Männer sonst behaupten müssen: Du bist jemand! Ellbogen raus und los! Lass dich nicht unterkriegen! Damit wirst du schon fertig! Bloß nicht nachgeben, dranbleiben! Hart sein, keine Schwäche zeigen! Bloß keine Emotionen! Niemals zeigen, dass ich nicht mehr kann – nie, nie, nie! Wenn du nicht mitspielst… der nächste wartet schon auf deinen Posten!

Demut – das passt so gar nicht in diese Männer-Alltagswelt. Weil es mit Schwäche gleichgesetzt wird. Wer demütig ist, ist ein Weichei – so die unausgesprochene einhellige Meinung.

Weißt du was?

Ich habe für mich mit dieser Weichei-Lüge gebrochen! Und ich bin sehr glücklich damit. Warum? Weil ich mich absolut frei fühle.

Ich habe kein Problem damit, dass es andere gibt, die besser sind als ich. Oder stärker. Kann damit leben, dass ich keine Karriereleiter hatte, auf der ich immer weiter klettern konnte. Lasse andere gerne an mir ‚vorbeiziehen‘, brauche gar nicht mitzulaufen und mitzukämpfen. Das ist genau das befreiende – ich brauche dieses Spiel um Macht, Geld und Einfluss nicht mitzuspielen!

Das erfordert bisweilen Mut und eigene Stärke. Sich selbst gegenüber treu zu werden. Eigene Limits zu sehen und anzuerkennen. Zu wissen, wer man ist, was man kann und was man braucht. Ja, ich fühle mich im Schatten des Zweitausenders klein. Empfinde Achtung und so etwas wie Ehrfurcht vor diesem mächtigen Felsbrocken.

Aber ich bin glücklich – nicht zuletzt auch deshalb, weil ich angesichts dieser monströsen Berge weiß, dass derselbe Gott, der diese mächtigen Berge entstehen ließ, auch mich geschaffen hat, mich so gewollt hat, wie ich bin. Und mich liebt! Ein glücklich machendes Gefühl!

zurück zum Anfang


Foto Bergkette mit Wolken in den Hängen. Was ist meine wahre Größe angesichts solcher Panoramen? Was sehe ich und was macht das mit mir? Kann ich das auch beschreiben und dadurch meinen Sinn für das Schöne, aber auch für mich schärfen?