Das offene Meer – Sinnbild für Freiheit und Unendlichkeit. Große und kleine Schiffe fahren ihrem Ziel entgegen, klaren Regeln und Markierungen folgend. Immer orientiert, Tag wie Nacht, klar auf Kurs…

Es war schon Abend, als wir Kurs auf die offene Nordsee nahmen. Die Sonne ging bereits unter, gegenüber tauchte der aufgehende Mond am Himmel auf. Vor uns lag das dunkle Meer, der Horizont war in ein warmes Orange-Rot gefärbt. Ein paar Segel waren gesetzt, der Wind trieb uns gemächlich voran. Orientierung fanden wir an den verschiedenen Lichtzeichen, die uns von nun an auf unserer nächtlichen Revierfahrt begleiten würden.

Ich liebe diesen Augenblick, wenn wir den beidseitig begrenzenden Flussbereich verlassen und die offene See ansteuern. Es hat etwas Befreiendes, erzeugt ein Gefühl von Aufbruch, von Abenteuer, von Ungewissheit. An Steuerbord passierten wir die letzten großen Containerschiffe, die in der untergehenden Abendsonne an der Kaje festgemacht waren. Unzählige Container stapelten sich auf der Fläche hinter den Schiffen, dazwischen fahrerlose Transportfahrzeuge mit ihren blinkenden gelben Warnleuchten.

Die Orientierung auf See erfordert insbesondere in der in Küstennähe von Untiefen durchzogenen Nordsee erhöhte Aufmerksamkeit. Trotz aller technischen Unterstützungen wie elektronische Seekarten, Echolot, Radar. Auf der Brücke unseres Traditionsseglers sind kontinuierlich immer drei Personen konzentriert damit beschäftigt, das Schiff auf Kurs zu halten: der Steuermann, der Rudergänger und der Ausguck. Oft ist zusätzlich auch der Kapitän zugegen, insbesondere bei schwierigen Manövern und kritischen Situationen.

Leuchtfeuer und Tonnen zur Orientierung auf See

Die Jahrtausende alte nautische Tradition hat sich im Laufe der Zeit immer neue Ideen einfallen lassen, die Orientierung auf See bei jeder Wetterlage und Tageszeit sicher zu machen. Heute üblich sind neben den vielen technischen Einrichtungen auf der Brücke nach wie vor Seezeichen und Leuchtfeuer, die Fahrwasser, Untiefen und Gefahrenstellen markieren.

Da sind zum einen die allseits bekannten grünen und roten Tonnen, in der Fachsprache Lateraltonnen genannt. Viele, nicht alle, sind bei Dunkelheit beleuchtet, wobei sich Takt und Leuchtdauer voneinander unterscheiden, um einzelne Tonnen anhand der Seekarte identifizieren zu können. Neben den Lateraltonnen gibt es noch die Kardinaltonnen – gelb-schwarze oder auch rot-schwarze Tonnen.

Ebenfalls wichtig zur Orientierung sind die Richt- und Leitfeuer. Richtfeuer bestehen immer aus einem oberen und einem unteren Sichtzeichen. Eine Kegel- oder Dreieckform am Tag, Lichter bei Nacht. Leitfeuer sind in Sektoren eingeteilte Lichtzeichen, die, je nach Position des Schiffes in Bezug zu dem Feuer, grün, rot oder weiß erscheinen.

Und dann gibt es selbstverständlich noch die uns allen bekannten Leuchttürme, die – in den meisten Fällen jedenfalls – von Land aus weit hinaus auf das Meer strahlen. Aber es gibt sie auch mitten im Meer – in der deutschen Nordsee der mittlerweile außer Betrieb genommene und weltweit bekannte Leuchtturm Roter Sand beispielsweise. Wieder sorgen unterschiedliche Taktungen für eine eindeutige Zuordnung.

Feuer und Tonnen – warum und wozu?

Backbordfahrwassertonne - auf Flüssen wie auf dem Meer zusammen mit der grünen Steuerbordtonne sichere Fahrwassermarkierungen.

Trotz elektronischer Seekarten, GPS, Radar und Echolot tragen auch heute immer noch die genannten Seezeichen wesentlich zur Orientierung auf See bei. Grüne Tonnen markieren die Steuerbordseite des Fahrwassers, rote Tonnen die Backbordseite. Wobei sich Steuerbord- und Backbordseite des Fahrwassers immer von See aus kommend ergibt.

Kardinaltonne zur Orientierung an Hindernissen.

Kardinaltonnen weisen auf Gefahrenstellen hin. Untiefen, Wracks, Ankerplätze, gesperrte Wasserflächen, Pipelines, Kabeltrassen. Anhand der Richtung von den oben auf diesen Tonnen angebrachten Dreiecken lässt sich auch eindeutig ermitteln, auf welcher Seite der Tonne die Gefahrenstelle sicher umfahren werden kann. Nachts ersetzen fest definierte Lichttaktungen die Funktion der Dreiecke.

Richtfeuer bei Nacht.

Richtfeuer helfen bei der Positionierung des Schiffes im Fahrwasser. Sie zeigen an, ob ein Schiff der Ideallinie, meistens der Mitte eines Fahrwassers, folgt. Stehen beide Zeichen senkrecht übereinander, befindet sich das Schiff in der Mitte des Fahrwassers. Liegen die Zeichen im Gegenzug auseinander, ist die aktuelle Position rechts- oder linksseitig von der Mittellinie und kann ein Hinweis auf eine notwendige Kurskorrektur sein.

Leit- und Leuchtfeuer Alte Weser in der Nordsee.

Leitfeuer leiten ein Schiff durch anspruchsvolle Gebiete, zum Beispiel Flussbiegungen, oder helfen dabei seine Position in Bezug zu dem Feuer zu bestimmen. Befindet sich ein Schiff beispielsweise auf einem Fluss und es kommt eine starke Kurve, erscheint zunächst der grüne Lichtsektor, der irgendwann in den weißen übergeht. Hier ist jetzt die Kurskorrektur vorzunehmen. Ändert sich die Sektorfarbe von Weiß zu Rot, sollte die Korrektur abgeschlossen sein.


Und klar – Leuchttürme geben eine grobe Orientierung auf See. Sie sind aus großer Entfernung sichtbar und die Taktung ihres Lichtkegels lässt im Abgleich mit der Seekarte eine eindeutige Identifizierung zu.

Leuchtturm Roter Sand - ehemaliger wichtiger Leuchtturm zur verlässlichen Orientierung in der Außenweser.

Ohne Seekarte keinen Überblick

Viele verschiedene Seezeichen, noch mehr verschiedene Lichterkennungen – alles ergibt nur Sinn und erfüllt seinen Zweck, wenn diese mit einer aktuellen Seekarte abgeglichen werden können. In einer Seekarte ist jede einzelne Tonne mit ihrer spezifischen Kennung vermerkt. Fahrwassertonnen als auch Warntonnen. Farbe des Lichtes, Frequenz der Taktung, Dauer der Lichterscheinung und der Dunkelphase. Und tatsächlich ist es so, dass wir bei unseren Segeltörns nachts, insbesondere an schwierigen Stellen, die Sekunden zählen und die Tonnen anhand ihrer Kennung identifizieren. Mitunter nicht immer einfach…

Aber die Seekarte gibt auch den großen Überblick. Wo sind Untiefen, welche Fahrwasser gibt es, wo sind Fahrwasserkreuzungen, wo lauern Hindernisse, wo sind Ankerplätze und so weiter. Im Gegensatz zur althergebrachten Papierkarte, die wir auf dem Traditionssegler noch immer zur Unterstützung nutzen, bietet die elektronische Karte viele weitere Informationen. Beispielsweise werden andere Schiffe mit ihren aktuellen Daten wie Geschwindigkeit, Kurs und Zielhafen angezeigt, sodass frühzeitige Ausweichmanöver und eine Kontaktaufnahme per Funk möglich sind.

Das offene Meer – Sinnbild für mein Leben

Für mich als norddeutscher Küstenliebhaber steht das offene Meer als Sinnbild für mein Leben. Eine große Fläche, bis zum Horizont, unendliche Freiheit. Mal ruhig wie ein Ententeich, mal stürmisch aufgepeitscht mit meterhohen Wellen. Wahnsinnig schöne Farben bei Sonne und klarer Sicht, trüb und grau bei Regen und Nebel. Was ich auf dem Meer sehe und erlebe, trifft gleichsam auf meinen Alltag zu.

Sobald ein Schiff den eindeutigen Flussverlauf vom Land verlässt und auf die offene See fährt, kommt es auf eine sichere Orientierung an. Andernfalls sind Schwierigkeiten vorprogrammiert. Das Prinzip „Flusslauf passiert, Hebel auf den Tisch und auf ins Abenteuer“ mag vielleicht noch bei kleinen Sportbooten funktionieren. Aber je größer das Schiff, desto anspruchsvoller die Navigation.

Im Leben gibt uns „die Fahrt auf dem Fluss“ Sicherheit. Alles ist beschaulich, die Strömung nimmt uns mit, die Uferbegrenzungen geben uns Klarheit. Der Job läuft, in der Familie geht alles seinen gewohnten Gang, dass Leben scheint kontrollierbar. Manche Lebenskonzepte beruhen auf genau diesem Bild. Aber Flüsse haben eine wesentliche Eigenheit: sie sind durch Ufer beschränkt und es geht nur vor oder zurück. Sie bieten keine Freiheit, zwingen mich dazu, dem Flussverlauf zu folgen.

Das offene Meer hat alle Möglichkeiten. Vor, zurück, links, rechts – ich kann wählen, ich bin frei, ich habe Optionen. Nur: ich brauche sichere Orientierung, um die Freiheit des Meeres – meines Lebens – sicher zu nutzen und zu genießen.

Orientierung im Leben – welche Tonnen hast du?

So, wie es in der Seefahrt Zeichen und Karten gibt, brauche ich diese auch in meinem Leben. Woran orientiere ich mich, woran orientierst du dich? Wenn ich mein Leben ansehe, dann habe ich im Laufe der Jahre viele eigene Tonnen und Seezeichen aufgestellt und andere kennengelernt.

Tiefe Verletzungen, Enttäuschungen, Rückschläge – es gibt dort mittlerweile eine ganze Reihe von den gelb-schwarzen Tonnen, die mich an die Situationen erinnern. Und für die Zukunft vor genau den damit verbundenen Gefahren warnen. Richtig aufgearbeitet, kann ich heute an diesen Stellen problemlos vorbeifahren, ohne Schaden zu nehmen. Klar, es kommen wieder neue Situationen, die neue Tonnen erfordern, aber das Erkennen und der Umgang mit ihnen wird einfacher.

Dann gab es Zeiten, in denen Richtungsänderungen notwendig waren. Und gerade jetzt bahnt sich bei mir im Leben wieder eine wesentliche Richtungsänderung an. Da hilft es, wenn ich weiß, welche Menschen, oder auch Bücher und Gewohnheiten, mir bereits geholfen haben und auch jetzt wieder helfen könnten – Leitfeuer in meinem Leben, die mir Orientierung geben. Und Richtfeuer, die mich bei aller Unsicherheit dennoch auf Spur halten.

Und klar – weit draußen habe ich immer das Blinken des Leuchtturmes im Blick. Der Fixpunkt, der mir die grobe Richtung weist. Das Licht, an dem ich mich immer orientieren kann, sollte ich im Detail nicht klarkommen. Für mich ist das mein Glaube an Gott und das Überzeugt-sein von Werten. Für dich mag das etwas ganz Anderes sein. Wichtig ist, dass du etwas im Leben hast, das Halt, Sicherheit und Orientierung gibt. Etwas, dass selbst absolut sicher, stabil und verlässlich ist.

Wenn dann meine Seekarte noch aktuell ist und ich auch meinen genauen Standort kenne, also genau weiß, wo ich im Leben gerade stehe und was um mich herum los ist, dann bin ich gut gerüstet für das, was sich Leben nennt. Kennst du deine Tonnen? Hast du deine Leitfeuer gut im Blick? Siehst du deinen Leuchtturm in der Ferne? Und bist du dir sicher über deinen genauen Standort auf der Karte?

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Richtzeichen bei Tag in der Weser bei Bremen-Farge.