Sichtbar sein, wenn’s drauf ankommt
Ich gehe am Strand entlang. Links neben mir die rauschenden Wellen. Rechts die Dünen. Es ist dunkel und der Blick auf die Sterne ist spärlich. Wolken verhindern die Sicht, hinter einer zeichnet sich die Silhouette des Mondes ab. Der Wind bläst aus südwestlicher Richtung und lässt die Luft salzig schmecken. Etwas weiter hinten durchbricht der regelmäßig wiederkehrende Lichtstrahl des Leuchtturms rhythmisch für kurze Augenblicke die Dunkelheit. Mein Weg führt mich direkt auf ihn zu und bei seinem Anblick spüre ich in mir wieder einmal dieses Gefühl der tiefen Zufriedenheit mit meinem Leben. Die Worte des jungen Mannes, mit dem ich in den letzten Monaten mehrere Gespräche hatte, hallen anlässlich dieser Szene erneut in meinem Kopf nach und lassen mich lächeln… Ein wertvolles Leuchtturm-Leben als Mann!
Welche 3 Merkmale den Leuchtturm für mich zur Metapher für ein wertvolles Leben machen
„Was ist eigentlich das Wesentliche eines Leuchtturmes?“ frage ich mich, während ich weiter den Strand entlanggehe. Den Turm mit seinem sich drehenden Lichtkegel immer im Blick fallen mir drei Merkmale ein:
Er ist immer höher als seine Umgebung und ragt aus ihr heraus. Das macht ihn von überall her gut sichtbar und damit zu einem fest stehenden Orientierungspunkt.
Ein weiteres Merkmal, na klar: ein Leuchtturm leuchtet. Dabei ist sein Licht durch eine aufwendig konstruierte Linse bewusst so gestaltet, dass es über weite Entfernungen nach außen strahlt.
Und nicht zuletzt braucht so ein Leuchtturm ein stabiles Fundament. Wusstest du, dass alleine die Lichteinheit am Kopfe des Turmes mehrere Tonnen auf die Waage bringen kann?
Ich beginne damit, Parallelen zu meinem Leben zu ziehen. Für andere sichtbar sein, von anderen wahrgenommen werden – das gefällt mir irgendwie. Also, sichtbar sein so ganz ohne Rampenlicht. Scheinwerfer an und tataaa… ich mittendrin im Lichtkegel – das ist eher was für andere, nicht für mich. Verstehst du, was ich meine? Wahrgenommen zu werden aufgrund dessen, wer ich bin oder was ich kann. Ohne gefeiert zu werden, ohne Applaus. Einfach und natürlich. Ich möchte auch ein Licht sein in meiner Umgebung. Für Helligkeit sorgen, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Hat ja auch wieder was mit Sichtbarkeit zu tun, nur im Dunkeln halt. Oder im dichten Nebel. Oder beidem. Und klar, stabil stehen will ich auch. Den Wellen und Stürmen des Lebens trotzen und nicht von ihnen umgehauen oder weggepustet werden.
Sichtbar sein, ohne dass es dabei um mich geht
Wie ich so langsam am Strand schlendere und über den Leuchtturm nachdenke, kommt mir ein weiterer Gedanke: bei dem Turm geht es nicht um den Turm! Ich meine, der Leuchtturm wurde gebaut mit dem Ziel, Schiffen dabei zu helfen, sich zu orientieren. Dass er anderen etwas nützt, das macht ihn wertvoll. Klar, wenn er auch noch schön aussieht, freuen sich sogar Menschen wie ich, die einfach am Strand spazieren, über ihn. Aber das ist nur ein Nebeneffekt, nicht der eigentliche Zweck. Der Wert des Leuchtturms liegt also verborgen in seinen Merkmalen: sichtbar sein, leuchten, standfest sein.
Was an dieser einfachen Feststellung so erhellend ist, fragst du dich? Denken wir den Leuchtturm vor uns am Strand mal weiter als Metapher für uns und unser Leben. Ich für meins und du für deins. Wir wollen im Leben wahrgenommen, als Personen mit unseren eigenen Fähigkeiten gesehen werden. Jedenfalls gehe ich mal davon aus, dass du letztlich nicht glücklich wärst, wenn du ständig übergangen, nicht beachtet und beiseitegeschoben würdest. Bei mir ist das zumindest so. Also, du und ich, wir möchten sichtbar sein, wollen wahrgenommen werden.
Fragt sich nun, was ich dafür tue. Welchen Weg ich wähle, um sichtbar zu werden. Und der hängt ab von meinem Grund, warum ich das überhaupt möchte. Vielleicht deshalb, weil ich glaube, dass es mir guttut, mir Bestätigung verschafft und ich das Gefühl habe jemand zu sein und „es drauf zu haben“. Oder: Weil es anderen guttut, ihnen hilft und ich das Gefühl von einem wertvollen Leben habe. Und diese beiden unterschiedlichen Gründe bestimmen in der Konsequenz die Art und Weise, wie ich mich sichtbar mache.
Liebst du die Bühne oder eher das Hinterzimmer?
Wenn ich Männer in meinem Umkreis beobachte, dann erkenne ich solche, die dadurch aufzufallen versuchen, dass sie sich selbst möglichst auffällig in den Lichtkegel des Scheinwerfers stellen. Wie sie das machen? Karriere zum Beispiel. Schnell hoch klettern und gut klingende ‚Titel‘ sammeln. Wenn es sein muss auch mithilfe der weitbekannten Ellbogenmentalität. Ihre Bedeutung hängt ab vom Bankkonto und den damit verbundenen typischen „Männerspielzeugen“. Ein großes Auto bedeutet „Schaut her, ich bin jemand, ich hab’s geschafft.“ Oder ein extravagantes Haus. Und ein voller der Terminkalender betont „Ich bin wichtig“.
Dann gibt es die Gruppe derjenigen, die gar nicht auffallen und es auch nicht darauf anlegen. Sie scheinen glücklich mit sich selbst und dem, was sie haben. Leider denken viele unter ihnen aber auch nicht über ihr Leben hinaus über andere nach. Weil sie gar nicht merken, dass sie nur mit sich beschäftigt sind oder sie nie gelernt haben, dass sie mit ihrem Leben auch für andere da sein können.
Und ich kenne Männer, die sichtbar sind, sich aber von der ersten Gruppe wesentlich unterscheiden. Wodurch? Sie bringen sich nicht selbst ins Scheinwerferlicht und überhaupt meiden sie die öffentliche Bühne, wenn es an ihnen liegt, das zu entscheiden. Solche Männer bevorzugen eher das Hinterzimmer. Und trotzdem sind sie sichtbar: Es sind andere Menschen, die ‚sie wichtigmachen‘, ohne, dass das Wichtig sein überhaupt der Fokus ist. Es geht ihnen gar nicht um sich und auch nicht bewusst darum, wichtig zu sein.
Was diese Männer wichtigmacht? Ihre Ausstrahlung in das Leben der anderen. Das, was und wie sie für andere sind. Gerade dann, wenn sich der Himmel im Leben von anderen verdunkelt, die Sturmfront mit Regen aufzieht. Wie der Leuchtturm am Strand vor mir sind sie dann sichtbar, beginnen zu leuchten und sorgen für Orientierung.
Unsere Welt braucht mehr leuchtturm-männer
Warst du schon mal in einer Lebensphase, wo dir plötzlich die Orientierung fehlte? Du verlierst plötzlich deinen Arbeitsplatz. Deine Partnerin trennt sich von dir. Dein Arzt eröffnet dir eine kritische Diagnose. Kennst du dann das Gefühl, dazustehen wie im Nebel? Um dich herum alles grau, nur Konturen sind mit etwas Glück noch sichtbar. Du siehst nicht mehr als die nächsten Meter direkt vor dir. Weißt auf einmal nicht mehr, ob es links, rechts oder geradeaus weitergeht… Wonach suchst du dann? Was würde dir am meisten helfen?
Bei mir passierte es vor einigen Jahren. Mehr als 10 Jahre habe ich gemeinsam mit meiner Frau Zeit und Geld in den Aufbau einer ehrenamtlichen Organisation für soziale Projekte in Asien gesteckt. Und dann wurde an meinem Stuhl gesägt, bis ich fiel. Es war schmerzhaft, die Art, wie es passierte. Ich fühlte mich verraten von Menschen, denen ich vertraute. Der Himmel in meinem Leben zog sich rasant zu. Dunkle Wolken machten sich breit, ein Sturm begann zu tosen.
Was ich gesucht habe? Orientierung. Männer, die mich verstehen. Jemanden, der ähnliches erlebt hat und mir sagen konnte, wie ich damit umgehen kann. Geholfen haben mir letztlich drei oder vier Bücher, die ich gelesen und die mich in meinen Denkprozessen sehr unterstützt haben. Lieber wäre mir aber ein Mann gewesen, den ich persönlich kenne und mit dem ich hätte reden können. Hatte ich aber, zumindest längerfristig, nicht.
Aus meine eigenen Erfahrungen und dem, was ich höre und beobachte, schließe ich: Unsere Welt braucht mehr Leuchttürme! Männer, an denen sich andere orientieren können. Die stark genug sind, andere im Fokus zu haben und die von sich selber wegsehen können. Da draußen auf dem Meer sind viele Schiffe unterwegs – im übertragenen Sinn: da draußen leben viele Männer. Einige mit sicherer Orientierung, andere orientierungslos, wieder andere manövrierunfähig. Welche Anzeichen es dafür gibt? Alkohol- und Drogensucht, Selbstmord, Gewalttaten, Burnout und Depressionen zum Beispiel.
Ich will ein Mann sein, der wie ein Leuchtturm am Strand steht und anderen hilft, sich zu orientieren. Du kannst ebenfalls solch ein Mann sein, der sichtbar ist, leuchtet und stabil steht, wenn andere gerade eine stürmische Lebensphase durchmachen. Wie du ohne viel Aufwand und alltagsnah anfangen kannst? Hier sind meine Ideen dazu:
3 einfache tipps für den beginn eines leuchtturm-lebens
Meine 3 Tipps, mit denen du beginnen kannst, deinen Lichtkegel nach außen scheinen zu lassen und ein wertvolles Leuchtturm-Leben zu führen:
- Bewusst Zeitfenster frei räumen, um Zeit zu haben.
Lebenskrisen kommen, wann sie kommen und sind nicht planbar. Wie soll ich jemandem helfen können, wenn ich nie Zeit habe? - Mich interessieren und gut zuhören.
Ich muss mich für andere wirklich interessieren. Muss Fragen stellen und genau hinhören, was mein Gegenüber mir erzählt. Das fällt dem einen von uns leicht, dem anderen nicht. Aber keine Panik: kann man(n) alles lernen. - Aufmerksam durch meine Welt gehen.
Meine Wahrnehmung für andere Menschen und ihre Bedürfnisse schärfen. Genau hinsehen oder hinhören. Gibt es Andeutungen, dass jemand gerade in einem Sturm steckt und Hilfe braucht?
Du siehst schon: Leuchtturm sein ist ganz einfach. Ich habe Zeit, in der ich für andere ansprechbar bin – wenn nicht, dann kann das mein erster Schritt sein: ich räume meinen Terminkalender auf. (Und freue mich ganz nebenbei dann noch über freie Zeit!) In Gesprächen höre ich gut zu und stelle interessiert Fragen. Zugegeben: das musste ich auch erst lernen, war aber gar nicht so schwer… Und ich schärfe in Alltagssituationen meine Wahrnehmung.
…Mittlerweile habe ich den Leuchtturm erreicht. Der Himmel hat sich weiter zugezogen und es beginnt leicht zu regnen. Der Regen lässt den Lichtkegel nun noch deutlicher erscheinen. Ich stehe in den Dünen und schaue hinaus aufs Meer. „Die Gespräche mit dir haben mir sehr geholfen.“ waren die Worte des jungen Mannes. „Jetzt ist mir meine Situation klarer und ich kann die nächsten Schritte gehen. Weiß, was ich tun kann. Vielen Dank!“ Das ich wieder jemandem helfen konnte, sich in einer Lebenskrise zu orientieren, macht mich glücklich. „Ein wertvolles Leben, so ein ‚Leuchtturm-Leben‘“, denke ich. Am Horizont sehe ich ein Schiff vorbeifahren und ich stelle mir vor, wie der Kapitän hierherschaut und den blinkenden Leuchtturm mit seiner Seekarte abgleicht, um sein Schiff sicher weiter zu steuern…