Wer ein Sportboot besitzt, kennt das: im Frühjahr das Boot rein ins Wasser, den Sommer über wird gefahren (oder im Hafen gestanden), im Herbst wieder raus aus dem Wasser, im Winter Instandsetzung. Größere Boote und Schiffe kommen nur alle paar Jahre ins Trockendock, um das Unterwasserschiff zu untersuchen – Zeit, der Wahrheit ins Auge zu blicken. Denn: ist ein Boot oder Schiff erstmal aus dem Wasser gehoben, zeigt sich der wahre Zustand. Wie oft gehe ich, gehst du, „ins Trockendock“?

Es wird Herbst, die Bäume am nahegelegenen Fluss verfärben sich allmählich gelb. Auf dem Wasser treibt das erste heruntergefallene Laub mit der Strömung lautlos dahin. Die Luft trägt leicht würzige Aromen, die Sonne steht mittlerweile deutlich niedriger am Horizont als vor wenigen Wochen.

Noch liegen einige Boote fest vertäut an den Stegen im Fluss. Ein paar Lücken hier und da lassen aber auch erkennen, dass die Saison der Freizeitskipper zu Ende geht und die ersten Segel- und Motorboote bereits im Winterquartier angekommen sind. Das Winterquartier – der zweite, der arbeitslastigere, Saisonabschnitt.

Unverzichtbar: trockendock und winterquartier

Wahrscheinlich gibt es viele Skipper die auf diese Zeit verzichten können. Je nach Größe und Zustand des Bootes kostet dieser Saisonteil vor allem zweierlei: Zeit und Geld. Nichts ist zu spüren von der schönen Wasserromantik des Sommers. In den Hallen, in denen die Boote stehen, ist es kalt, laut, dreckig und oft riecht es nach Lösungsmitteln und Lacken.

Bei den Schiffen, mit denen ich in meiner Freizeit zu tun habe, sieht es ein wenig anders aus. Zwar gilt auch hier: Winter ist Arbeitssaison. Rost klopfen, lackieren, ausbessern – die typischen Wartungsarbeiten eben. Aber die alte Barkasse Vegebüdel von 1950 oder der Dreimast-Traditionssegler Großherzogin Elisabeth aus dem Jahre 1909 bleiben über die Wintermonate im Wasser. Sie werden nur alle paar Jahre in einer Werft ins Trockendock geholt.

Foto Heck der Großherzogin-Elisabeth im Dock.

Im letzten Jahr war es bei beiden Schiffen wieder soweit. Raus aus dem Wasser, um das Unterwasserschiff mit Ultraschall auf Risse und potenzielle Schwachstellen zu prüfen. Neue Bleche im Rumpf wurden verschweißt, Schraube und Ruder inspiziert. Komplette Reinigung, neuer Anstrich. Nach ein paar Wochen Werftzeit waren beide Schiffe wieder fit und gingen zurück ins Wasser.

Im letzten Jahr war es bei beiden Schiffen wieder soweit. Raus aus dem Wasser, um das Unterwasserschiff mit Ultraschall auf Risse und potenzielle Schwachstellen zu prüfen. Neue Bleche im Rumpf wurden verschweißt, Schraube und Ruder inspiziert. Komplette Reinigung, neuer Anstrich. Nach ein paar Wochen Werftzeit waren beide Schiffe wieder fit und gingen zurück ins Wasser.

Sicher, ein Schiff auf dem Trockenen kommt seiner Bestimmung nicht nach, kostet Geld und „bringt nichts“, macht keinen Spaß, sorgt für Arbeit. Werden solche Zeiten aber vernachlässigt kommt allzu schnell der Zeitpunkt, wo der Aufwand größer, die Werftzeiten länger und die Kosten höher werden. (Oder der Kahn säuft im Hafenbecken ab… )

Garant für Qualität: der Blick unter die Wasserlinie

Wie Wohin geht der Blick, wenn ein Schiff ge- oder verkauft wird, als erstes? Richtig, auf den Rumpf, und zwar insbesondere auf den Teil, der normalerweise im Wasser liegt und nicht zu sehen ist. Als Fehler kann es sich entpuppen, ein Boot nur nach dem Anblick der Aufbauten und dem Zustand und Design der Inneneinrichtung zu beurteilen. Klar soll es hübsch aussehen. Tolle Kajüte, schöne Vorhänge, die Sitzgelegenheiten frisch bezogen… Wenn dann noch ein wenig eindrucksvolle Technik wie Solar, Funk und Radarmonitor an Bord sind, kann doch nichts mehr schiefgehen.

Jeder, der sich mit der Materie ein wenig auskennt, weiß, dass der Zustand der Aufbauten und der Technik nur dann ausschlaggebend ist, wenn der Rumpf intakt ist. Kein intakter Rumpf – besser die Finger weg (oder den Preis entsprechend drücken). Und ein intakter Rumpf braucht Pflege. Regelmäßig. Und dazu muss das Schiff nun mal raus aus dem Wasser.

Trockendock in meinem Leben: versteckte Bereiche offenlegen

Wie Was im Leben eines Schiffes Standard ist – die Zeiten außerhalb des Wassers – tut auch meinem Leben gut. Mich mal aus allem rausnehmen, um genau den Stellen Aufmerksamkeit zu widmen, die sonst eher unsichtbar sind. Aber dennoch entscheidend.

Was ich damit meine? Schlechte Charakterzüge beispielsweise. Negative Verhaltensweisen. Alles das, was meine Mitmenschen in der Öffentlichkeit im Alltag erstmal gar nicht mitbekommen. Meine Frau schon eher, oder meine Kinder. Weil ich meine schlechte Laune gar nicht dauerhaft verbergen kann. Ist ja schon aufwendig genug die im Arbeitsumfeld zu verstecken. Oder meine Wutausbrüche. Oder, oder, oder. Kennst du bestimmt auch?

Vielleicht gibt es auch noch mehr Themen, die ich gut verstecken kann. Die heimliche Alkoholsucht. Glücksspiel. Pornografie. Die Affäre. Alles Dinge, die unter der Wasserlinie liegen, die keiner sofort sieht. Die Aufbauten sehen gepflegt und intakt aus. Ich bin immer der freundliche Nachbar. Der kompetente Kollege. Der verlässliche Ehepartner. Der ruhige gelassene Papa. Dass der Rumpf marode ist bemerkt (zum Glück) erstmal keiner.

Der Weg zu den Fischen: „Das geht schon noch…“

Jedes Schiff muss regelmäßig aus dem Wasser und in die Werft, um lange voll einsatzbereit und funktionsfähig zu sein. Werden die Trockenzeiten übergangen kann ziemlich schnell Schluss sein mit Boot fahren. So auch bei mir. Lasse ich für mich keine „Werftzeiten“ zu ist der Schaden irgendwann unausweichlich. Nehme ich mir keine Zeit, um mich auch mit den verborgenen Seiten meiner Person, meiner Seele, zu beschäftigen, laufe ich erhebliche Gefahr, irgendwann ohne Vorwarnung Schaden zu nehmen. Oder gar „von der Wasseroberfläche zu verschwinden und den Fischen guten Tag zu sagen“.

Du willst lange intakt sein? Deine Familie soll in dir einen starken Mann und Vater haben? Im Beruf möchtest du ein verlässlicher, produktiver Kollege sein? Dann plane dir Werftaufenthalte ein und habe den Mut insbesondere dahin zu schauen was im Alltag verborgen ist. Und gebe dich nicht zufrieden mit „Das geht schon noch…“, sondern packe an, was gemacht werden muss.

Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, mindestens einmal im Jahr eine solche „Werftzeit“ bei mir zuzulassen. Im Winter, wenn die Tage kürzer werden, nehme ich mir bewusst Zeit, um im Leben ein wenig kürzer zu treten. Weniger Termine im Dezember und Januar, weniger Reize, weniger Stress. Dafür mehr Zeit mit mir selber, mehr Zeit in der engen Familie. Wochen zum Genießen, Ausruhen, Nachdenken. Bewusste Zeiten, in denen ich versuche, Gott zu begegnen oder ihn einlade, mir zu begegnen.

Luxus? Nein, Notwendigkeit!

Ein Luxus, den ich mir leiste? Aus meiner Sicht nicht, sondern absolute Notwendigkeit. Und meine Erfahrung zeigt mir, dass ich aus solchen Zeiten gestärkt hervorgehe. Mit Ideen für die dann kommenden Monate oder auch die langfristige Lebensgestaltung. Häufig helfen mir diese „Trockendock-Phasen“ auch mit Distanz auf mich und meine inneren Gefühlszustände zu sehen und diese zu würdigen, also ernst zu nehmen. Und Dinge zu korrigieren.

Bei alledem geht es aber gar nicht nur um mich, sondern auch um die Menschen in meinem Umfeld. Meine Frau, meine Kinder, Menschen im Job, Freunde, Vereinskameraden. Denn sie erleben einen Mann der sich kennt, sich im Blick und unter Kontrolle hat, der aus seiner inneren Stärke heraus agiert.

Trockendock gibt es auch in kurz

Mitten in der Saison ist es passiert: die Vegebüdel hatte beim Anlegemanöver Grundberührung. Ein herausragender Stein im Bereich der Spundwand des Flusses. Die Crew inspizierte sofort den Rumpf von innen – Wassereinbruch war nicht festzustellen. Nichts desto trotz ging es zwei Tage später in die Werft und raus aus dem Wasser. Außer ein paar Kratzern und ungefährlichen Riefen war nichts festzustellen. Ein paar Stunden später war das Schiff wieder im Wasser.

Bild von der alten Barkasse Vegebüdel aus Bremen in der Werft. Backbordseite komplett.


Solche kurzen „Werftzeiten“ gibt es mittlerweile auch bei mir, mitten im Alltag. Dann nämlich, wenn ich merke, dass mein innerer Tacho wieder am Anschlag ist, der Motor zu qualmen anfängt und kurz vorm explodieren ist. Wenn ich das Gefühl habe vom Leben gelebt zu werden und nicht mehr mein Leben zu leben. Wenn mir die Kontrolle über mich selbst abhandenkommt und mein Umfeld dann die Auswirkungen abbekommt. In Form von mieser Laune, von emotionalen Ausbrüchen, von Schuldzuweisungen, von Schimpftiraden.

Wenn ich das merke, dann suche ich mir Möglichkeiten, kurz auszusteigen. Nicht immer gelingt mir das, aber mein Anspruch ist, hier stetig besser zu werden. Manchmal reicht ein Kaffee in aller Abgeschiedenheit. Oder ein ausgiebiger Spaziergang im Park. Und wieder gilt: Luxus? Nein, Notwendigkeit.

Es geht um die Regel, nicht die Ausnahmen

Ich kenne Männer, die halten das alles für Schwachsinn. Daraus machen sie auch kein Geheimnis. Stark ist, wer durchhält, wer rackert, wer ohne Pausen schuftet und sich keine freie Zeit gönnt. Und in den meisten Fällen versuche ich, solchen Männern auszuweichen, weil gemeinsam verbrachte Zeit mit ihnen nicht unbedingt vergnügungssteuerpflichtig ist.

Ja, es gibt Zeiten im Leben, da ist durchhalten angesagt. Ich erinnere mich gut an die Zeit, wo meine Töchter sehr klein waren. Da war tatsächlich auch bei mir wenig oder keine Zeit für Ruhe. Da war das „Trockendock“ mein Bett, in das ich abends irgendwann hineinfiel – und oftmals selbst da nicht ohne nächtliche Ruhestörung.

Aber es geht um die grundsätzliche Lebenseinstellung, nicht um einzelne Ausnahmen. Meine Beobachtung: in vielen Fällen geht es gar nicht darum, dass bei Ruhe Arbeit und Aufgaben liegen bleiben. Sondern darum, dass man(n) gar nicht weiß, wie man(n) zur Ruhe kommen kann und was man(n) mit sich in einer solchen Zeit anfangen soll. Oder schlichtweg um Angst, sich selbst und seinem Innenleben zu begegnen. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt sind: Zeiten im Trockendock sind dazu da, um der Wahrheit ins Auge zu blicken. Und die ist nicht immer schön.

Auf geht’s: mutig ins Trockendock

Die Entwicklungen unserer Zeit rufen nach starken Männern. Nach Männern, die imstande sind, Orientierung zu geben. Die wissen, wer und wozu sie sind. Die sich „im Griff haben“. Und die damit anderen Halt und Sicherheit geben können – in der eigenen Familie, im Jobumfeld, in der Freizeit.

Vielleicht bist du dir unsicher über den Beginn solcher Trockendock-Zeiten? Fragst dich, wie du diese Zeiten gestalten kannst? Oder was du mit den Dingen, die du dann siehst, tun sollst? Hast Angst davor, genau hinzusehen, weil du ahnst, dass da eine Menge „dünnes Blech“ oder Rost am Rumpf zutage treten? Dann möchte ich dich ermutigen, dir Unterstützung zu holen. Ein gutes Coaching kann dich begleiten und dir Starthilfe geben. Sicher, das kostet Geld und auch ein wenig Zeit, aber damit investierst du in dich selbst. Und deine Mitmenschen werden es dir danken!

Also, auf geht’s, mit Mut ins Trockendock – um der Wahrheit zu begegnen. Denn: auch, wenn ich der Wahrheit nicht begegne, ist sie da… nur eben ohne Chance, die Auswirkungen frühzeitig zu beeinflussen.

zurück zum Anfang